30 Jahre nach dem Mauerfall

Die äußere Grenze ist vor 30 Jahren gefallen, die inneren Grenzen noch lange nicht. Bis heute dauert die Gereiztheit von Künstlern meiner Generation und Kuratoren um dieses Thema an. Kommen die Jahrestage der Maueröffnung, kommen die Ausstellungen und für einige Künstler, ist es die einzige Chance, ein größeres Publikum zu erreichen.

Die Kunstwissenschaft fühlt sich an solchen Jahrestagen zu einer Rückschau verpflichtet: das gebietet die deutsche Geschichte.

Und so wird man in den Ausstellungen hauptsächlich Arbeiten sehen, die alle vor dem Mauerfall entstanden sind. Bislang gab es wenig Interesse den Blick diesbezüglich in die Gegenwart zu richten, um der Frage nachzugehen, was diese Künstler die heute vor oder im Rentenalter stehen, unter den veränderten Bedingungen im vereinten Deutschland künstlerisch geschaffen haben. Welche Entwicklung haben sie genommen, welchen Einflüssen haben sie sich ausgesetzt, oder standgehalten?

Dieser selektive Blick zurück auf die Kunst zeigt, wie wenig Interesse besteht, museal einmal das hier und jetzt zu beleuchten und so werden sie weiter auf die Vergangenheit reduziert werden.

Künstler, die wie ich vor dem Mauerfall ausgebürgert wurden, oder ausgereist sind, hatten einen Vorsprung. Sie mussten alles auf eine Karte setzen, den Verlust von Familie und Freunden in Kauf nehmen, da ihnen bewusst war, es gibt kein Zurück. Nach Aufnahmelager und Wohnungssuche verbrachten wir die ersten Jahre damit, für uns und unsere Kunst einen Platz zu suchen. Oft kamen wir mit Nichts im Westen an. Oft mussten sogar die Kunstwerke zurückgelassen werden. Das aber beflügelte die Offenheit, schärfte den Blick auf das Neue und es wurden Kräfte mobilisiert, den Verlust der zurückgelassenen Kunst zu kompensieren, in dem man neue erschuf. So blieb keine Zeit für eine Rückschau.

Da diese ausgereisten Künstler nicht in Massen kamen, fanden sich in der Bundesrepublick auch hier und da erste Galerien die neugierig genug waren und uns vertraten. Bald spielte unsere Herkunft, nicht mehr eine ausschließliche Rolle. Es entstanden erste Kataloge, die auch den Künstlern im Osten nicht verborgen blieben. Das Papier der Kataloge glänzte ihnen aber einen Optimismus vor, der den beschwerlichen Anfang nicht Preis gab.

Als dann die Grenze offen war, fiel für viele Künstler, die nicht ausgereist waren, feiner Staub auf die Illusion einer zügigen Selbstverwirklichung unter neuen Bedingungen.

Diesen Eindruck erhielt ich nach ersten Gesprächen mit ehemaligen Kollegen. Für den Westen waren plötzlich zu viele Ostkünstler gekommen und sie verloren schnell das Interesse, zumal die Sujets der Kunst sie befremdeten: zu viel Mythos und Märtyrertum, zuviel Tragik und dunkle Farbe. Damit tat sich der Westen schwer.

Und so wurden die meisten Künstler hauptsächlich von Galerien aufgenommen, die ihren Standort in den neuen Bundesländern hatten und zu 80%  Künstler aus der ehemaligen DDR vertraten. Hatten diese Künstler zuvor in einer Nische gearbeitet, fanden sie sich erneut in einer Nische wieder.

Aber auch wir, die ausgereisten Künstler, wurden unsere DDR- Opfer-Geschichte nie restlos los. Wir finden uns bis heute in großen musealen Gruppenausstellungen zum größten Teil innerhalb dieses Kontextes wieder.

Die Aufmerksamkeit unabhängig des biografischen Kontextes, wird nur der Einzelne mit seinem Werk für sich generieren können: das ist das was ich in den 30 Jahren gelernt habe.

20. August 2019