Sueddeutsche.de: 30. Dezember 2015, 21:57 Uhr "Reisetagebuch Marokko" Das Licht der Wüste, von Stephan Fischer
Cornelia Schleime hat sich durch den Süden Marokkos treiben lassen - und dabei ein außergewöhnliches Reisetagebuch gezeichnet.
Rezension von Stefan Fischer
Das erste Mal schämt Cornelia Schleime sich, da ist sie noch gar nicht richtig angekommen in Marokko. Sie sitzt in einem Sammeltaxi, das sie von Agadir 200 Kilometer in den Süden bringen soll, in die Wüstenvilla eines Freundes. Das Taxi wird aufgehalten, der Fahrer debattiert mit Polizisten, mit Passanten. Dann soll die Fahrt weitergehen, aber die Menschen treten nach dem Fahrzeug, schlagen mit ihren Fäusten gegen die Scheiben. Der Fahrer hatte sich geweigert, die Verletzten eines Verkehrsunfalls ins Krankenhaus zu transportieren. Cornelia Schleime fühlt sich deplatziert, mit ihrem übervollen Koffer, darin "meine Röckchen und Kleidchen". Eine westliche Touristin eben, die wenig begreift. Und das wollte sie gerade nicht sein, sondern eine Reisende, die individuell den Süden Marokkos erkundet, ohne detaillierten Plan. "Das Bild, was ich im Kopf hatte, als ich meinen Koffer packte, war, mit weißen Marlene-Dietrich-Hosen und einer Tunika am Strand langzugehen und ein Seidentuch um den Hals wehen zu lassen."
Marokko, das wird aus Cornelia Schleimes Reisetagebuch schnell ersichtlich, treibt der Autorin und Malerin diese Albernheiten gründlich aus. Die Künstlerin wird - was sie ja auch wollte - in den Rhythmus des Berberlebens gezwungen. Und beschreibt es in einem der schönsten Reisebücher dieses Jahres. "Wüstenmoos" ist das Faksimile ihres Tagebuchs von dieser Tour im November 2012, eine Collage aus Aquarellen, übermalten Fotografien und Texten. Schleime hält sich zurück mit Erklärungen und Interpretationen, sie tritt nicht auf als eine Weltweise - anders als andere, die viel reisen und darüber schreiben. Sondern lässt sich tatsächlich noch überraschen, beeindrucken, auch enttäuschen.
Das Schwierigste für sie, die aquarelliert und schreibt, ist: Südmarokko teilt sich vor allem in den Wüstenregionen akustisch mit. "Der Nachhall des Muezzin oder der Laut eines Tieres, der sich einsam im Raum ausbreitete, hat mir das intensivste Gefühl für das Land vermittelt." Cornelia Schleime gelingt es in ihren Collagen, diese Erfahrung zu umschreiben. Es sind ruhige, stille Bilder, in denen die Menschen jedoch erkennbar auf Geräusche reagieren oder man als Betrachter ein Geräusch assoziiert. Vor allem aber wird klar, dass man den Süden Marokkos nur erlebt, wenn man so reist wie Cornelia Schleime: unabhängig, sich auf Zufälle verlassend, Luxus vermeidend. "Umso schöner die Unterkünfte, umso mehr schrumpft die Inspiration. Schlussendlich ähneln sich alle feinen Anlagen, ob in Kenia, Bali oder anderswo." Cornelia Schleimes Blick unterdessen bleibt wach und klar, ihre Neugier groß.
Cornelia Schleime: Wüstenmoos. Reisetagebuch Marokko. Fuchs & Fuchs Verlag, Berlin 2015. 176 Seiten, 39,90 Euro.
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